Wenn Pferde sterben …
Persönliche Ansichten von Chefredakteurin Martina Kiss
So wie jedes Lebewesen, stirbt auch das Pferd. Auch wenn es uns als Partner und Freizeitkamerad eine lange Zeit begleitet hat, ist es irgendwann einmal so weit, dass es seine letzte Reise antritt. Doch wie merken wir, wann es so weit ist? Eine Frage, die ich von vielen Pferdebesitzern gestellt bekomme und die für jeden, der sein Pferd bis zuletzt begleiten will, große Bedeutung hat.
Wie ein Pferd seinen letzten Weg antritt, merken wir nur durch genaue Beobachtung. Die Zeichen des Alterns stellen sich Monate oder sogar im Jahr davor ein. Aber wann geht ein Pferd wirklich und wie merke ich es? Diese besorgte Frage kommt immer wieder von Pferdebesitzern, deren liebster Gefährte meistens weit über 20 Jahre alt ist. Das Pferd selbst ist, sofern wir es lassen, schon seit Jahren nicht mehr als Reitpferd zu gebrauchen und – gehen wir davon aus – so weit wie möglich gesund. Es ist eben nur älter.
Sterben passiert – außer es ist ein Unfall und man muss seinen Freund einschläfern, weil er sehr krank ist – nicht in einem Moment. Alte Pferde sterben Schritt für Schritt in Phasen.
Phasen des Übergangs
Mit jedem Tag fallen eben die typischen Alterserscheinungen mehr auf, wie zum Beispiel, dass der alte Freund Stichelhaare im Fell bekommt, speziell über den Augen und im Gesicht. Auch die Kuhlen über den Augen werden mit der Zeit prägnanter und die Augen treten stärker aus den Augenhöhlen hervor. Die Futterverwertung ist nicht mehr gegeben, auch wenn wir uns noch so bemühen, dass Freund Pferd durch Futterergänzungsmittel oder Zusatzfuttermittel wie Mash mehr Fett auf die Rippen bekommt. Die Hüftknochen treten immer stärker hervor und man hat das Gefühl, das Pferd ist unterernährt. Knapp vor seinem Ableben stellt es häufig das Fressen komplett ein. Das Fell ist stumpf. Es legt sich kaum mehr hin, weil es nicht die Kraft besitzt, aufzustehen. In einer Gruppe wird es oft gerade in den letzten Wochen „aussortiert“ und weggeschlagen. Irgendwann müssen wir uns eingestehen, alles getan zu haben, um ihm das Leben so schön wie möglich zu erhalten, bis er sich zum Gehen oder Sterben bereit macht.
Die Entscheidung, wann das Pferd stirbt, nimmt es uns in den meisten Fällen ab. Tage oder auch nur Stunden vor seinem Übergang gibt er seinem Besitzer den richtigen „Wink“.
Und sehen wir ihm dann in die Augen, fühlen wir, dass der Moment gekommen ist. Manchmal ruft er uns auch.
Friedvolles Ende
Junior, mein eigenes Pferd, war 36 Jahre alt, und in dem Jahr vor seinem Übergang war er so sanft wie nie. In seinem ganzen Leben wollte er nur sehr selten gestreichelt werden, oder er legte seine Ohren an, kam man auch nur auf wenige Meter an ihn heran. Reiten war zeitweise gefährlich, und ich kann von mehreren Stürzen berichten, die mir geprellte Rippen und Gehirnerschütterungen eingebracht hatten. Mit einem Wort, dass Junior sein 36. Jahr erlebt hatte, war meiner Liebe zu ihm zu verdanken. Jeder andere hätte ihn schon im Reitpferdalter einem Schlachter überlassen. Genau das wollte ich ihm ersparen, in der Hoffnung, eines Tages doch noch ein anständiges Reitpferd aus ihm zu machen. Geschafft habe ich es nicht, aber in seiner letzten Stunde hat er mir seine Liebe und Dankbarkeit bewiesen.
Zwei Tage vor seinem Tod hatte ich das Gefühl, dass ich unbedingt zu ihm musste. Da ich oft unterwegs war, hatte ich diesem Gefühl nicht wirklich Bedeutung beigemessen, weil ich ohnehin Anfang der darauffolgenden Woche zu ihm fahren wollte. Schon zwei Monate vorher wurde er gesondert auf eine Koppel mit anderen Rentnerpferden gestellt, weil er in seiner angestammten Gruppe von jüngeren Pferden aussortiert wurde und die Gefahr einer groben Verletzung zu groß wurde.
Das Gefühl, zu ihm fahren zu müssen, hielt den ganzen Tag an, bis es sich am Abend verflüchtigte, wie eine Kerze, deren Flamme erlischt. Ich dachte nicht mehr daran, und Montag, früh am Morgen, rief mich der Reitstallbesitzer an und sagte, dass mein Pferd am Freitag zuvor zu fressen aufgehört habe. Er beteuerte, dass er alles versucht hatte, aber Junior einfach nicht zum Fressen zu bewegen war. Fast in Panik fuhr ich noch in derselben Stunde zum Reitstall. Schon auf dem Hinweg fühlte ich, dass es nun so weit war.
Als ich im Reitstall ankam, sah ich ein Gerippe aus Haut und Knochen und ich sah in die Augen, die mich immer abwartend angesehen haben. Doch diesmal waren es tote Augen. Das Pferd, das immer ein Funkeln in den Augen hatte, war gegangen. Nun wusste ich, dass es soweit war und es keinen Weg zurückgab. Junior hatte sich auf den Weg in eine andere Welt gemacht. Ich wollte meinem alten Freund noch schöne Stunden bereiten und ging mit ihm zu einer Wiese hinter dem Stall, auf der immer saftiges Gras wuchs. Er fraß es zwar, aber ich merkte, dass er es nur mir zuliebe tat. Tränen der Trauer und der Ausweglosigkeit rannen über meine Wangen und wir beide warteten auf den Tierarzt. Immer wieder legte er seine Nüstern auf meine Schultern und blies mir seinen warmen Atem in die Ohren, um mich zu trösten und mich zu beruhigen. Dieses Pferd, das in seinem ganzen Leben Nähe nur in Ausnahmefällen zuließ, schenkte mir so viel Liebe in seinen letzten Stunden, dass ich am liebsten geschrien hätte vor Schmerz. Er, der mich so oft abgeworfen hatte, weil er mir zeigen wollte, dass ich einen falschen Weg mit ihm einschlug. Dieses ach so stolze Tier wollte mich verlassen und ich konnte nur zusehen. Ich sprach ihm liebevolle Worte in sein Ohr, bis der Tierarzt kam und mein geliebtes Pferd erlöste. Er brach in Frieden zusammen und ich streichelte ihn, bis sein Herz aufhörte zu schlagen.
Abschied durch Erlösung
Anhand dieser wahren Geschichte sieht man: Wenn das Pferd offensichtlich nicht mehr will oder weil es Schmerzen hat, haben wir als Pferdebesitzer die Möglichkeit, wenn nicht sogar die Pflicht, ihm unnötige Strapazen zu ersparen. Doch ob man als Besitzer den Tierarzt zu Hilfe ruft oder ob man das Tier einschlafen lassen will, bleibt die eigene Entscheidung.
Viele Pferde geben ihrem Besitzer ganz bestimmte Zeichen und dieser kann erkennen, dass nun das Ende gekommen ist. Es ist ein Gefühl, und man weiß, dass am Abschiednehmen kein Weg mehr vorbeiführt. In vielen Fällen geht das sehr friedvoll vor sich. Das Pferd spürt natürlich die Anspannung, die von seinem menschlichen Freund ausgeht, aber da ist es meist schon zu geschwächt, um sich von dieser Anspannung ablenken zu lassen. Und viele Pferde sind dankbar, wenn man ihnen das Leiden verkürzt. Sie legen sich hin und schlafen einfach ein, bis sie nicht mehr atmen oder warten, dass sie erlöst werden. Für Tiere ist der Tod so natürlich wie das Leben, und daraus können wir Menschen auch etwas über den Wert des Lebens lernen.
Der letzte Freundschaftsdienst …
… bis zum Schluss bei ihm zu bleiben.
… und der Mensch trauert
Ist das Pferd alt, muss man sich an den Gedanken gewöhnen, dass es irgendwann einmal stirbt. Viele wollen nicht hinsehen, und wenn es dann so weit ist, können sie es gar nicht fassen. Es kommt so erschreckend schnell. Doch nicht das Pferd leidet – außer es hat Schmerzen –, es ist der Mensch, der zurückbleibt – oft in einem unerträglichen seelischen Schmerz.
Es war eine Leere in ihrem Herzen und ihr war kalt. Äußerlich hat sie funktioniert, nur innerlich fühlte sie sich wie tot und konnte sich über Tage hinweg nicht bewegen. So oder so ähnlich sind viele Aussagen von Menschen, die den Tod ihres geliebten Pferdes erlebt haben. Stellt sich die Frage, dürfen wir bei dem Verlust eines Tieres trauern?
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Zuerst einmal vorweg: Ja, wir dürfen trauern, wir sollen und müssen sogar. Trauern bedeutet Gefühle nach außen zu tragen. Gefühle haben und sie zu zeigen, ist in unserer Welt, die Gefühle kaum zulässt, noch immer etwas Unangenehmes. Außenstehende sind oft peinlich berührt, viele aber auch hilflos gegenüber der eigenen Unfähigkeit zu helfen.
Wenn ein Mensch stirbt, ist es für viele nachvollziehbar, dass getrauert wird. Umso schockierender, wenn man erkennen muss, wie Freunde reagieren, wenn das geliebte Pferd gestorben ist. Hier ist das Verständnis des Umfeldes schon um einiges geringer, denn es war ja „nur ein Tier“. Doch dieses „nur ein Tier“ war da, als man vom Freund verlassen wurde, und es war da, als die eigene Mutter starb, und es war da, als man seinen Job verloren hatte. Man konnte immer zu diesem Tier gehen, wenn rundherum die Welt einzustürzen drohte. Und nun? Nun ist es genau dieses Tier, dieses Pferd, das nicht mehr da ist.
Pferde nehmen uns auch oft Sorgen und negativen Stress ab. Es ist Freund und Begleiter, doch was, wenn es plötzlich nicht mehr da ist?
Man kann nicht mehr in sein Fell greifen, wie man es so oft getan hat. Die Wärme nicht mehr spüren, die so beruhigend gewirkt hat, und man kann nicht mehr die eigene Stirn an seinen Kopf lehnen und fühlen, dass da jemand ist, der nicht wertet, der einfach nur da ist, um zu trösten. Wie oft ist man gestresst zum Pferd gefahren, und nach wenigen Augenblicken des Beisammenseins ist alles abgefallen und man konnte wieder aufatmen?
Es tut weh – und Gott sei Dank tut es das. Je mehr es wehtut und je mehr wir dieses Gefühl zulassen, desto schneller können wir die Trauer verarbeiten. Das mag jetzt schlimm klingen, aber in dem Moment, in dem wir uns für ein Tier entscheiden, entscheiden wir uns auch für den Tod. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir jede Minute mit dem geliebten Pferd bewusst erleben.
Durch die Trauer hindurchgehen
Jeder Mensch geht anders mit Trauer um. Manche kaufen sich schon Monate vor dem Ableben des alten Pferdes ein neues, offiziell weil das Seniorpferd nicht mehr zu reiten ist (oder kurz danach, weil man sich ablenken will). Manche ignorieren die Zeichen des Endes. Andere wiederum warten den Tag ab und denken sich: „Wenn es stirbt, wird es eh nicht so schlimm für mich, denn es ist ja schon alt, und es muss irgendwann einmal sterben.“ Alles Mechanismen, um das Unweigerliche auszuschalten. Doch wenn der Tag gekommen ist, fällt im ersten Moment jeder in ein emotionales Loch. Den einen trifft es mehr, den anderen weniger. Wichtig ist in diesen Stunden, Tagen, Wochen danach, auf das Geschehene hinzusehen. Sich bewusst zu werden, dass es passieren musste. Das Pferd – sosehr wir es geliebt haben – auch innerlich gehen zu lassen. Und sich seiner Tränen nicht zu schämen. Tränen zeigen, wie sehr man den zotteligen Kameraden geliebt hat. Deshalb dürfen sie auch geweint werden. Je mehr diese Gefühle ans Tageslicht kommen, desto schneller kann die Trauer bewältigt werden.
Trauer hinterlässt in unserem Herzen eine Wunde, und es liegt an jedem Einzelnen, diese Wunde zu pflegen und zu gegebener Zeit zu schließen. Wird diese Trauer nicht durchlebt, bleibt sie in uns verhaftet. Eine unbewältigte Trauer kommt aber immer wieder an die Oberfläche. Je mehr wir sie auch zu unterdrücken versuchen, staut sich das Gefühl immer mehr auf und kann im schlimmsten Fall Menschen in Depressionen verfallen lassen. Deshalb – auch wenn es schwerfällt – nehmen Sie Hilfe an und stellen Sie sich ihrer Trauer. Dabei helfen auch Rituale. Lassen Sie sich von Ihren Gefühlen tief im Inneren Ihres Herzens treiben, und tun Sie das, was gut für Sie ist.
Hilfreiche Rituale:
- Einen Weg, auf dem man mit dem geliebten Freund geritten ist, noch einmal zu gehen. Und am Ende des Wegs sich umzudrehen und Lebewohl zu sagen.
- Eine Kerze abends ins Fenster zu stellen und einige liebevolle Worte an das verstorbene Tier zu senden, dann die Kerze auspusten und den Rauch gedanklich in den Himmel blasen.
- Eine Blume, die man in einen Bach legt, der sie dann weiterleitet, und sich in Liebe von der Blume verabschieden.
Jedes Ende hat einen Neubeginn
Das Pferd hat uns eine lange Zeit begleitet, war immer da und am Ende seines Lebens sollten wir mit ihm den letzten Gang gemeinsam gehen – als liebevollen Freundschaftsdienst.
Auch wenn es nach dem Tod des geliebten Vierbeiners schrecklich klingt und man solche Worte nicht hören will: Das Leben geht weiter und in jedem Ende liegt ein Neuanfang. Ob jetzt das neue Pferd neue Aufmerksamkeit erhält oder ob man für neue Erkenntnisse oder neue Wege offen ist. Oder auch für ein anderes Tier oder Hobby. Nur wenn die Gefühle der Trauer abgeschlossen sind, können wir uns innerlich gelöst Neuem widmen. Denn unser Pferd hat uns eines gelehrt – lass los und geh weiter, entwickle dich und genieß das Leben so wie du mit mir jeden Moment genossen hast.
Text: Martina Kiss / Fotos: Christiane Slawik (www.slawik.com)