Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen

Anja Beran, Blickschulung – Pferdegerechte Ausbildung erkennen

Was ist klassische Dressur?

Die klassische Dressur orientiert sich ausschließlich an der Natur des Pferdes. Natürliche Bewegungsabläufe sollen ausdrucksvoll gezeigt werden und jederzeit abrufbar sein, während das Pferd davon körperlich profitiert – es wird kräftiger, bekommt Muskulatur an den wichtigen Stellen, kommt besser ins Gleichgewicht, wird mobiler und verliert Verspannungen, dadurch kann Verschleiß vermieden werden. Es reift zu einer stolzen, selbstbewussten Persönlichkeit heran, vertraut dem Menschen und brilliert in den Lektionen, weil es sich mühelos mit unsichtbaren Hilfen dirigieren lässt. Somit hilft uns die klassische Ausbildung, dass unser Pferd bis ins hohe Alter gesund, motiviert und leistungsfähig bleibt.

Sämtliche Bewegungen, die in der Dressur verlangt werden, sind der Natur abgeschaut, diese gibt die Form vor. Deshalb kann der Lustiano-Wallach Ole eine Levade in perfekter Haltung auch ohne Zaum zeigen.))

 

Über das Pferd und seine natürlichen Bedürfnisse gab es in den letzten Jahrzehnten intensive Forschungen und Aufklärung, sodass fast alle Pferdebesitzer heutzutage bestens informiert sind, was Haltung, Fütterung und Umgang angeht. Einzig bei der Reitausbildung gibt es immer wieder „moderne Methoden“ und diverse „Trends“, die es genau zu beobachten und einzuordnen gilt. Auch die uralte klassische Reitkunst, deren Wurzeln bereits im Jahre 400 vor Christus verankert sind, wird immer wieder als „eine“ von vielen Methoden dargestellt, wobei sie aus meiner Sicht die einzige Ausbildungsweise ist, die infrage kommen darf, denn klassisch bedeutet ja, dass wir uns an der Natur orientieren. Wir verlangen keine unnatürlichen Bewegungen, sämtliche Dressurlektionen sind Bewegungsabläufe, die ein Pferd in freier Wildbahn auch zeigt. Wir machen sie lediglich abrufbar! Für welche Disziplin wir ein Pferd schließlich spezialisieren, ist eine andere Frage, dennoch sollte die Grundlage der Ausbildung immer klassisch sein, um dem Pferd ein solides Fundament zu geben. Ob ich nachher lieber im Parcours, auf Fuchsjagden oder bei Distanzritten unterwegs bin, kann ich meinen Vorlieben und den Neigungen meines Pferdes entsprechend entscheiden, eine klassische Basisausbildung macht alles möglich.

Erinnern wir uns daran, dass ca. 400 vor Christus Xenophon es war, der entdeckt hat, dass ein ausbalanciertes Pferd, das an feinen Hilfen stand, im Kampf lebensrettend sein konnte und vor allem auch länger einsatzfähig war. Er beschrieb bereits das Fundament der klassischen Reitkunst, und das nicht, um später mit dem Pferd Lektionen in festen Choreographien auf einem geharkten Viereck zu zeigen, sondern um das Pferd im Krieg nutzen zu können.

Die Zeiten, in denen das Pferd Partner war, um gegen den Feind in den Krieg zu ziehen, sind zum Glück vorbei, umso beschämender, dass heutzutage immer öfter Bilder auftauchen, welche Pferde mit blauen Zungen, Blut im Maul und Blut an Sporen sowie aufgerollten Hälsen und Hälse mit falschem Knick zeigen. Gleichzeitig kann man Reiter beobachten, die mit großer Kraftanstrengung auf dem Pferd agieren, die verschiedenen Lektionen wirken dabei mühsam und aufwendig ohne jede Leichtigkeit oder Brillanz des Pferdes. Handelt es sich bei den beschriebenen unschönen Tatbeständen um ein paar „schwarze Schafe“? Oder erfüllen wir heute nicht mehr den Anspruch der klassischen Reiterei und sind auf Abwege geraten – folgen verzerrten Idealen? Wie kann ich natürlich und fürs Pferd gesund oder unnatürlich und fürs Pferd verschleißend erkennen? Gibt es Indizien, die auf einen pferdegerechten Weg hinweisen?

Ja, es gibt sie, die Hinweise auf eine korrekte Ausbildung, und zwar nicht nur während der Ausbildung, sondern auch am Ergebnis kann man erkennen, ob der Weg klassisch war oder nicht. Da wir uns an viele Bilder gewöhnt haben und das Richtige selten geworden ist, bedarf es einer Blickschulung.

Keine unnatürlichen Bewegungen

Diese Blickschulung beginnt damit, dass ich Pferde beim freien Laufen auf der Koppel oder in einer Bahn genau beobachte und zunächst deren drei Grundgangarten kennenlerne und analysiere. Der Erhalt dieser drei Grundgangarten hat bei der Ausbildung eines Pferdes oberste Priorität!

Die natürlichen Bewegungen, die jedem Pferd eigen sind und für die es eine klare Definition gibt, müssen unbedingt rein im Ablauf bleiben. Wird eine Gangart zerstört, darf die ganze Ausbildung als wertlos erachtet werden. Ein guter Ausbilder kann es sogar schaffen, Bewegungsabläufe in Ausdruck und Kapazität zu verbessern. Zerstören aber darf er niemals! Meist ist es die Grundgangart Schritt, die zu Schaden kommt, wenn eine falsche Herangehensweise die Pferde zu Leistungen bringen soll.

Selbstverständlich ist nicht jeder Reiter in der Lage, die natürliche Veranlagung eines Pferdes zu verbessern, aber man sollte wenigstens darauf bedacht sein, das vorhandene Potenzial zu erhalten. Achtsamkeit, Respekt und Reflexion sind Begriffe, die sich der gute Ausbilder zu Herzen nimmt und die ihm helfen, rechtzeitig innezuhalten, wenn er spürt, die Ausbildung gerät auf einen falschen Weg.

Die Passage kommt als Imponiergehabe des Hengstes in freier Natur vor, hier gezeigt von Vollblutaraber-Hengst WM Safi im Besitz des HLG Marbach.))

Anja Beran leitet im bayrischen Bidingen, „Gut Rosenhof“ – einen international renommierten Ausbildungsbetrieb für Pferde aller Rassen und deren Besitzer aus dem In- und Ausland.

Ihr Wissen, basierend auf den Werken der Alten Meister, ihrer reiterlichen Ausbildung in Portugal, und ihrem seit 35 Jahren angehäuften Erfahrungsschatz, versucht sie zeitgemäß aufbereitet, auf Vorträgen, Lehrgängen, Workshops und Kursen Kontinent übergreifend zu vermitteln.

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